- ERKLÄRUNG ZUR GELDPOLITIK
PRESSEKONFERENZ
Christine Lagarde, Präsidentin der EZB,
Luis de Guindos, Vizepräsident der EZB
Ljubljana, 17. Oktober 2024
Guten Tag, der Vizepräsident und ich begrüßen Sie zu unserer Pressekonferenz. Ich möchte mich bei Präsident Vasle für seine Gastfreundschaft bedanken und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseren besonderen Dank für die hervorragende Organisation der heutigen Sitzung des EZB-Rats aussprechen.
Der EZB-Rat hat heute beschlossen, die drei Leitzinssätze der EZB um jeweils 25 Basispunkte zu senken. Insbesondere der Beschluss zur Senkung des Zinssatzes für die Einlagefazilität – der Zinssatz, mit dem wir den geldpolitischen Kurs steuern – spiegelt unsere aktualisierte Beurteilung der Inflationsaussichten, die Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und die Stärke der geldpolitischen Transmission wider. Die aktuellen Daten zur Inflation zeigen, dass der Disinflationsprozess gut voranschreitet. Die Inflationsaussichten werden zudem durch aktuelle Konjunkturindikatoren beeinflusst, die schwächer ausgefallen sind als erwartet. Die Finanzierungsbedingungen bleiben unterdessen restriktiv.
Die Inflation dürfte in den kommenden Monaten anziehen, bevor sie im Laufe des nächsten Jahres auf den Zielwert zurückgeht. Die Binneninflation ist weiterhin hoch, da die Löhne nach wie vor in einem erhöhten Tempo ansteigen. Zugleich wird sich der Arbeitskostendruck wohl weiterhin allmählich abschwächen, wobei die Unternehmensgewinne seine Auswirkungen auf die Inflation teilweise abfedern.
Wir sind entschlossen, für eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zu unserem mittelfristigen Ziel von 2 % zu sorgen. Wir werden die Leitzinsen so lange wie erforderlich ausreichend restriktiv halten, um dieses Ziel zu erreichen. Die Festlegung der angemessenen Höhe und Dauer des restriktiven Niveaus wird auch in Zukunft von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung erfolgen. Unsere Zinsbeschlüsse werden vor allem auf unserer Beurteilung der Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzdaten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation sowie der Stärke der geldpolitischen Transmission basieren. Wir legen uns nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest.
Die heute gefassten Beschlüsse finden sich in einer Pressemitteilung auf unserer Website.
Ich werde nun näher erläutern, wie sich die Wirtschaft und die Inflation unseres Erachtens entwickeln werden. Anschließend werde ich auf unsere Einschätzung der finanziellen und monetären Bedingungen eingehen.
Wirtschaftstätigkeit
Die aktuellen Daten deuten darauf hin, dass die konjunkturelle Entwicklung etwas schwächer ausgefallen ist als erwartet. Während sich die Industrieproduktion über die Sommermonate hinweg besonders volatil zeigte, deuten Umfrageergebnisse darauf hin, dass sich das verarbeitende Gewerbe weiter rückläufig entwickelt hat. Für den Dienstleistungssektor zeigen die Umfragen einen Anstieg im August, vermutlich getragen von einer starken Tourismussaison im Sommer. Die jüngsten Daten deuten jedoch auf ein schleppenderes Wachstum hin. Die Unternehmen erhöhen ihre Investitionen nur langsam, während die Wohnungsbauinvestitionen weiter zurückgehen. Die Exporte haben sich abgeschwächt, vor allem bei Waren.
Obgleich die Einkommen im zweiten Quartal gestiegen sind, haben die privaten Haushalte entgegen den Erwartungen weniger konsumiert. Die Sparquote lag im zweiten Quartal bei 15,7 % und damit deutlich über dem vor der Pandemie verzeichneten Durchschnitt von 12,9 %. Zugleich deuten aktuelle Umfrageergebnisse auf eine allmähliche Erholung der Ausgaben der privaten Haushalte hin.
Der Arbeitsmarkt bleibt robust. Die Arbeitslosenquote lag im August weiterhin auf ihrem historischen Tiefstand von 6,4 %. Umfrageergebnisse deuten jedoch auf ein sich verlangsamendes Beschäftigungswachstum und eine weitere Abschwächung der Nachfrage nach Arbeitskräften hin.
Wir gehen davon aus, dass die Konjunktur im Laufe der Zeit anziehen wird, da steigende Realeinkommen es den privaten Haushalten ermöglichen, mehr zu konsumieren. Konsum und Investitionen dürften von den allmählich nachlassenden Auswirkungen der restriktiven Geldpolitik profitieren. Die Exporte dürften angesichts einer steigenden globalen Nachfrage zur Erholung beitragen.
Finanz- und strukturpolitische Maßnahmen sollten darauf ausgerichtet sein, die Wirtschaft produktiver, wettbewerbsfähiger und widerstandsfähiger zu machen. Dies würde auf mittlere Sicht dazu beitragen, das Potenzialwachstum zu steigern und den Preisdruck zu senken. Aus diesem Grund ist es von entscheidender Bedeutung, den Vorschlägen von Mario Draghi zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und denen von Enrico Letta zur Stärkung des Binnenmarktes rasch konkrete und ehrgeizige strukturpolitische Maßnahmen folgen zu lassen. Die vollständige, transparente und unverzügliche Umsetzung der Reform des wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmens der EU wird den Regierungen dabei helfen, Haushaltsdefizite und Schuldenquoten nachhaltig zu senken. Die Regierungen sollten nun in ihrer mittelfristigen Planung zur Finanz- und Strukturpolitik entschlossen diese Richtung einschlagen.
Inflation
Die jährliche Inflationsrate fiel im September weiter auf 1,7 % und damit auf den niedrigsten Stand seit April 2021. Die Energiepreise sanken mit einer Jahresrate von -6,1 % deutlich. Die Teuerung bei Nahrungsmitteln erhöhte sich leicht auf 2,4 %. Der Preisauftrieb bei Waren blieb mit 0,4 % verhalten, während sich der Preisauftrieb bei Dienstleistungen leicht auf 3,9 % verringerte.
Die meisten Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation gingen entweder zurück oder blieben unverändert. Die Binneninflation ist immer noch erhöht, da der Lohndruck im Euroraum nach wie vor stark ist. Das Wachstum der Tarifverdienste wird im weiteren Jahresverlauf hoch und volatil bleiben, da Einmalzahlungen eine bedeutende Rolle spielen und die Lohnanpassungen stufenweise erfolgen.
Es wird erwartet, dass die Inflation in den kommenden Monaten ansteigt. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass vorangegangene starke Rückgänge der Energiepreise aus den Jahresraten herausfallen werden. Im Laufe des nächsten Jahres dürfte die Inflation dann auf den Zielwert zurückgehen. Unterstützt werden dürfte der Inflationsrückgang durch den nachlassenden Arbeitskostendruck und die vorangegangene geldpolitische Straffung, die allmählich auf die Verbraucherpreise durchschlägt. Die meisten Messgrößen der längerfristigen Inflationserwartungen liegen bei rund 2 %.
Risikobewertung
Die Risiken für das Wirtschaftswachstum sind nach wie vor abwärtsgerichtet. Ein geringeres Vertrauen könnte dazu führen, dass sich die Konsum- und Investitionsausgaben nicht so rasch erholen wie erwartet. Dies könnte durch geopolitische Risiken verstärkt werden, die etwa von dem ungerechtfertigten Krieg Russlands gegen die Ukraine und dem tragischen Konflikt im Nahen Osten ausgehen. Dadurch könnten auch Energielieferungen und der Welthandel beeinträchtigt werden. Eine geringere Nachfrage nach Exporten des Euroraums, beispielsweise aufgrund einer schwächeren Weltwirtschaft oder einer Verschärfung der Handelsspannungen zwischen großen Volkswirtschaften, würde das Wachstum im Euroraum weiter belasten. Sollten die verzögerten Auswirkungen der geldpolitischen Straffung stärker ausfallen als erwartet, könnte dies ebenfalls ein niedrigeres Wachstum zur Folge haben. Das Wachstum könnte höher ausfallen, wenn die Weltwirtschaft kräftiger wächst als erwartet oder wenn günstigere Finanzierungsbedingungen und eine sinkende Inflation zu einem rascheren Anstieg der Konsum- und Investitionsausgaben führen.
Die Inflation könnte höher ausfallen als gedacht, wenn die Löhne oder die Gewinne stärker steigen als erwartet. Aufwärtsrisiken für die Inflation ergeben sich auch aus den erhöhten geopolitischen Spannungen. Diese könnten die Energiepreise und die Frachtkosten auf kurze Sicht in die Höhe treiben und den Welthandel stören. Zudem könnten Extremwetterereignisse und ganz allgemein die fortschreitende Klimakrise zu einem Anstieg der Nahrungsmittelpreise führen. Die Inflation könnte aber auch niedriger ausfallen als angenommen, wenn geringes Vertrauen und Bedenken bezüglich geopolitischer Ereignisse dazu führen, dass sich die Konsum- und Investitionsausgaben nicht so rasch erholen wie antizipiert, die Geldpolitik die Nachfrage stärker dämpft als erwartet oder sich das wirtschaftliche Umfeld in der übrigen Welt überraschend eintrübt.
Finanzielle und monetäre Bedingungen
Die kürzerfristigen Marktzinsen sind seit unserer September-Sitzung zurückgegangen. Dies ist vor allem auf schwächere Wirtschaftsdaten für den Euroraum und den weiteren Inflationsrückgang zurückzuführen. Bei weiterhin restriktiven Finanzierungsbedingungen sanken die durchschnittlichen Zinssätze für neue Unternehmenskredite und neue Immobilienkredite im August leicht auf 5,0 % bzw. 3,7 %.
Unserer jüngsten Umfrage zum Kreditgeschäft zufolge blieben die Richtlinien für Unternehmenskredite im dritten Quartal unverändert. Zuvor waren sie über mehr als zwei Jahre hinweg nach und nach verschärft worden. Zudem erhöhte sich die Nachfrage nach Unternehmenskrediten erstmals seit zwei Jahren. Insgesamt fiel die Kreditvergabe an Unternehmen mit einer Jahreswachstumsrate von 0,8 % im August weiterhin verhalten aus.
Die Richtlinien für Immobilienkredite wurden vor allem aufgrund des stärkeren Wettbewerbs zwischen Banken das dritte Quartal in Folge gelockert. Niedrigere Zinsen und bessere Wohnungsmarktaussichten ließen die Nachfrage nach Immobilienkrediten kräftig ansteigen. Dementsprechend erhöhte sich die Vergabe von Immobilienkrediten leicht mit einer Jahreswachstumsrate von 0,6 %.
Schlussfolgerung
Der EZB-Rat hat heute beschlossen, die drei Leitzinssätze der EZB um jeweils 25 Basispunkte zu senken. Insbesondere der Beschluss zur Senkung des Zinssatzes für die Einlagefazilität – der Zinssatz, mit dem wir den geldpolitischen Kurs steuern – spiegelt unsere aktualisierte Beurteilung der Inflationsaussichten, die Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und die Stärke der geldpolitischen Transmission wider. Wir sind entschlossen, für eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zu unserem mittelfristigen Ziel von 2 % zu sorgen. Wir werden die Leitzinsen so lange wie erforderlich ausreichend restriktiv halten, um dieses Ziel zu erreichen. Die Festlegung der angemessenen Höhe und Dauer des restriktiven Niveaus wird auch in Zukunft von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung erfolgen. Unsere Zinsbeschlüsse werden vor allem auf unserer Beurteilung der Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzdaten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation sowie der Stärke der geldpolitischen Transmission basieren. Wir legen uns nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest.
Wir sind in jedem Fall bereit, alle unsere Instrumente im Rahmen unseres Mandats anzupassen, um sicherzustellen, dass die Inflation mittelfristig zu unserem Zielwert zurückkehrt, und um die reibungslose Funktionsfähigkeit der geldpolitischen Transmission aufrechtzuerhalten.
Gerne beantworten wir nun Ihre Fragen.
Der Wortlaut, auf den sich der EZB-Rat verständigt hat, ist der englischen Originalfassung zu entnehmen.
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